Das neue Medium DVD konnte sich unglaublich schnell am Markt durchsetzen. Innerhalb von sechs Jahren hat es Video als Verbraucherprodukt überholt. Bisher meinten sich alle neuen Medien, ob nun Film, Radio, Fernsehen, Video oder Internet, damit legitimieren zu müssen, dass sie für Bildung und Kultur eingesetzt werden können und ihre Einführung mit einer Demokratisierung der Mediennutzung verbunden sei. Waren sie dann durchgesetzt, entlarvte sich die Hauptanwendung in der populären Unterhaltung.
Die DVD ist das erste Medium, das sich von vornherein als Träger für Unterhaltungsprodukte etablierte. Erst im nachhinein gibt es Überlegungen, wie die faszinierenden Speichermöglichkeiten auch für andere Produkte, wie historisch-kritische Ausgaben filmhistorisch interessanter Filme, genutzt werden könnten. Schließlich bietet sie neben dem Speichern der Filme in verschiedenen Sprachfassungen und Untertitelungen die Möglichkeit einer filmbegleitenden Kommentierung und der Zugabe von unterschiedlichstem „Bonusmaterial“.
Im Oktober 2002 fand im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts zur Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland an der Universität Trier eine Konferenz zum Thema DVD statt. [vgl. FILMBLATT 21, S. 72 ff] Sie sollte klären, welche Initiativen mit historisch-kritischen Präsentationen es auf CD-ROM, DVD und im Internet gibt und welche methodischen Kriterien an eine solche wissenschaftliche Edition gestellt werden müssen. Nun liegt das Buch zur Konferenz vor; es dokumentiert die meisten der dort präsentierten Vorträge durchgängig in englischer Sprache. Ergänzt wird die Publikation durch eine CD-ROM, die einen Einblick in die in Trier präsentierten Projekte ermöglicht.
Gleich zu Beginn weist Jan-Christopher Horak auf die Gefahr hin, dass zumindest in den USA Universitäten dazu übergehen, die DVD als das primäre Medium für die Lehre zu verwenden. Sein pessimistisches Szenario: In einigen Jahren werden nur die Filme im Studium behandelt, die als DVD vorliegen. Danach würde das überwiegend kommerzielle Angebot den Kanon der für Filmgeschichte relevanten Filme bestimmen: Filmhistory according to Hollywood. Zwar gibt es Beispiele für exzellente Editionen z.B. von Criterion oder David Shephard, der sich auf die Veröffentlichung von Stummfilmen auf DVD spezialisiert hat. Jedoch bleibt seine Überarbeitung für ein heutiges Publikum wie die Anpassung der Zwischentitel an die heutige Lesegeschwindigkeit, das Retuschieren vermeintlicher technischer Fehler usw. durchaus umstritten.
Informationen darüber, wo und wie der Film restauriert wurde, welche Fassungen zur Grundlage genommen wurden usw. liefern die wenigsten DVDs; ihre Einforderung ist ein Kriterium für eine historisch-kritische Herangehensweise, wie wir sie aus literaturwissenschaftlichen Texteditionen kennen. Ernüchternd wirkte Shephards Information, dass er durchschnittlich 1.000 Stück eines Titels verkaufen könne. Dies bedeutet, dass der Markt für solche Nischenprodukte ziemlich marginal ist, was an fehlenden Distributionskanälen liegen mag. Auf der anderen Seite sind die Kosten, sowohl für die technische Aufarbeitung als auch für die Klärung und Abgeltung der Urheberrechte enorm.
Die ambitioniertesten der im Verlauf der Fachtagung vorgestellten Projekte waren am Computer nutzbare Internetangebote, CD-ROMs und DVD-ROMs, die beispielsweise die Verknüpfung von Filmen mit Datenbanken ermöglichen oder umfangreiche Verweise erlauben. Als vorbildlich wurde etwa die CD-ROM IMMATERIAL BODIES von Yuri Tsivian über den russischen Film vor 1919 präsentiert. Tsivian arbeitet mit rund 100 Filmclips, nicht nur um über Film und die russische Kultur dieser Periode aufzuklären, sondern ebenso die Spiellust der Nutzer anzuregen. Völlig neue Welten und Verknüpfungen lassen sich in Chris Markers CD-ROM IMMEMORY ONE vornehmen – der französische Dokumentarist hatte 1995 vom Zelluloid zum neuen Medium gewechselt. Hillel Tryster informierte über die Bestände des Steven Spielberg Jewish Film Archive in Jerusalem, das nicht nur Filme digitalisiert ins Internet gestellt hat, sondern auch Begleitmaterialien wie Drehbücher, Zensurunterlagen oder Fotos.
Celluloid Goes Digital ist eine höchst informative Bestandsaufnahme der Diskussionen über historisch-kritische Film-Editionen auf neuen Datenträgern. Mir stellt sich aber die Frage, ob man nicht über das Internet die weltweit verstreute Zielgruppe besser erreichen kann. (Kay Hoffmann)
Martin Loiperdinger (Hg.): Celluloid Goes Digital. Historical-Critical Editions of Films on DVD and the Internet. Trier: Wissenschaftlicher Verlag 2003, 152 Seiten + CD-ROM ISBN 3-88476-598-1, EUR 21,00