1.
Lotte Reiniger glaubte mehr an Märchen als an Zeitungen, sie war ballett-, film- und theaterbesessen und hatte einen ausgeprägten Mozart-Fimmel. Die vor hundert Jahren in Berlin geborene Künstlerin begründete in den 20er Jahren das Genre des Silhouettenfilms. Mit einer nie erlahmenden Spielfreude schuf sie bis in die 70er Jahre insgesamt an die 80 Silhouettenfilme. Ihr gelang eine einzigartige Verbindung des besonders im Biedermeier gepflegten Scherenschnitts und des javanesischen Schattentheaters, eine Synthese aus romantischem Empfinden und überbordender Fabulierfreude. So entstanden selten leichte und elegante, filigran gestaltete Streifen, getragen von einem sanften und weisen Humor. Ihr unbestrittenes Meisterwerk ist der von 1923 bis 1926 entstandene erste abendfüllende Animationsfilm der Filmgeschichte: DIE ABENTEUER DES PRINZEN ACHMED nach Figuren und Motiven aus den Märchen aus 1001 Nacht
In den durchbrochenen Gewändern und den verschlungenen Ornamenten der orientalischen Szenerie steckt eine fast manische Detailverliebtheit. Auffällig die Gestaltung der guten Hexe als eine Art Urmutter, während der Prinz Achmed sich als zierlicher, fast femininer Held präsentiert. Für Spezialeffekte zog Lotte Reiniger Walter Ruttmann (abstrakte Formenspiele und Zaubereffekte) und Berthold Bartosch (Seesturm) hinzu. Wir zeigen die kürzlich vom Deutschen Filmmuseum, Frankfurt am Main, restaurierte Fassung. Sie geht auf eine viragierte Nitrokopie der Exportversion zurück, die um die deutschen Zwischentitel ergänzt wurde. (26. Juni, 19.00 Uhr, Am Klavier: Willy Sommerfeld).
2.
In ihren Tonfilmen suchte Lotte Reiniger immer wieder die Animation der Silhouetten auf Rhythmus und Takt der Musik abzustimmen. Am 27. Juni (19.00 Uhr) zeigen wir Kurzfilme, die zwischen 1933 und 1936 entstanden: CARMEN (1933), DAS GESTOHLENE HERZ (1934), DER KLEINE SCHORNSTEINFEGER (1935) zu Kompositionen der Barockzeit, GALATHEA. DAS LEBENDE MARMORBILD (1935), eine Filmfantasie nach der griechischen Sage vom Bildhauer Pygmalion, sowie PAPAGENO (1935) nach Motiven aus Mozarts Oper Die Zauberflöte. In dem Dokumentarfilm EIN SCHERENSCHNITTFILM ENTSTEHT (1971) demonstriert Lotte Reiniger schließlich Technik und Kunst des heute kaum noch gepflegten Silhouettenfilms.
Lotte Reiniger emigrierte 1936 nach London, wo sie mit Unterbrechungen bis zu ihrem letzten Lebensjahr lebte. Am 2. Juni 1899 in Berlin geboren, stirbt sie am 19. Juni 1981 in Dettenhausen bei Tübingen.
Einführungen: Jeanpaul Goergen.
DIE ABENTEUER DES PRINZEN ACHMED (D 1926) Restaurierte viragierte Fassung
Kopie: Filmmuseum Frankfurt
CARMEN. LOTTE REINIGERS SILHOUETTEN-OPERNHAUS (1933)
DAS GESTOHLENE HERZ (1934)
PAPAGENO (1935)
DER KLEINE SCHORNSTEINFEGER (1935)
GALATHEA. DAS LEBENDE MARMORBILD. EINE FIMFANTASIE (1935)
Kopien: Deutsches Filmmuseum Frankfurt
EIN SCHERENSCHNITTFILM ENTSTEHT. LOTTE REINIGER BEI DER ARBEIT (BRD 1971)
Kopie: Landesbildstelle Berlin
26. und 27. Juni 1999, Arsenal